EXPERTEN KOMMEN ZU WORT: Prof. Annette Hasenburg, Direktorin Frauenklinik Universitätsmedizin Mainz
Beitrag aus unserem Magazin „Die zweite Stimme – 1/2018“
WAS PATIENTINNEN IM ALLTAG NEBEN DER DIAGNOSE NOCH BEDRÜCKT
Vielleicht werden Sie sich fragen: Ist das Thema Sexualität angesichts einer lebensbedrohlichen Erkrankung überhaupt wichtig? Gibt es da nicht
vordringlichere Probleme und Fragen wie »Werde ich wieder gesund und wie sieht mein Leben nach der Therapie aus«?
Durch eine schwere Erkrankung treten Fragen der Lebensqualität und Sexualität oft in den Hintergrund. Doch sowohl während der Therapie als auch danach
ist es sehr wichtig, sich geliebt, geborgen und angenommen zu fühlen. Kris Carr beschreibt es in dem Buch »Kämpfen, Leben, Lieben« wie folgt: »Sex ist immer
unglaublich lebensbejahend. Besonders wenn man von Gedanken über die eigene Sterblichkeit geplagt wird, kann Sex die Angst verbannen und bewirken, dass
man sich wieder lebendig fühlt.« Dazu müssen Sie Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin Ihre Wünsche, Ängste und Hoffnungen mitteilen, damit er bzw. sie sich besser in Ihre Situation
versetzen kann. Denn auch Ihr Partner oder Ihre Partnerin hat Sehnsüchte und Sorgen und muss auf die Höhen und Tiefen Ihrer Reise durch die Therapie mitgenommen
werden, um entsprechend mit Ihnen mitschwingen zu können.
In der Behandlung von Eierstockkrebs wurden in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt und es gibt aktuell viele neue Medikamente, die die Therapiemöglichkeiten
verbessern. Leider haben sowohl die Erkrankung mit der Entfernung der Eierstöcke als auch die medikamentöse Behandlung Einfluss auf die Sexualität: Als körperliche Probleme, die aus der Tumorbehandlung resultieren, können eine Scheidentrockenheit und Verklebungen auftreten, die zu Schmerzen beim Geschlechtsverkehr führen. Durch eine Behandlung mit Vaginaldilatatoren,
Hyaluronsäure, Vaginalgelen oder einer lokalen Hormonbehandlung der Scheide können diese Probleme gelindert werden. Beim Geschlechtsverkehr hilft sogar die einfache Anwendung von
Olivenöl, um die Vagina geschmeidig zu halten. Nach der Entfernung der Eierstöcke kann es zu einem deutlichen Verlust der Lust (Libido) kommen und bei jungen Patientinnen, die vor den Wechseljahren erkrankt sind, muss mit einem plötzlichen Beginn der Wechseljahre gerechnet werden. Ein durch die Behandlung der Krebserkrankung bedingter rascher Hormonabfall kann deutlich belastender sein, als ein natürlicher Verlauf der Wechseljahre. Bei Symptomen kann bei fast allen Formen des Ovarialkarzinoms eine hormonelle Therapie angeboten werden.
Fragen Sie hierzu Ihre Ärztin bzw. Ihren Arzt.
Es gibt viele Frauen, die durch ihre Erkrankung unter psychischen Problemen leiden. Darüber hinaus kann das sogenannte Fatigue-Syndrom die Lebensqualität verschlechtern. Dabei handelt es
sich um eine Form der chronischen Erschöpfung. Diese steht nicht in Relation zur körperlichen Belastung und sie tritt nicht nur direkt während der Behandlung auf, sondern manchmal auch erst
nach Monaten oder Jahren. Symptome sind Müdigkeit, Antriebslosigkeit und Erschöpfung und können auch dazu führen, dass das Interesse an Sexualität fehlt, und vor allem die nötige Power
dazu. Dies zu wissen und die Probleme mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin und Ihren Ärzten zu besprechen, ist der erste Schritt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Informieren Sie sich deshalb aktiv, denn sowohl bei Patientinnen als auch Ärzten ist Sexualität häufig noch ein Tabuthema, das beide Seiten »umschiffen«. Eine frühzeitige Information dagegen beugt der Entstehung sexueller Störungen und Problemen in der Partnerschaft vor. Dazu braucht es mutige Patientinnen, die ihre Bedürfnisse,
aber auch ihre Probleme erkennen und benennen können. Denn wie für alle Frauen gilt auch für Patientinnen mit einer Krebserkrankung, dass sich
eine befriedigende Sexualität positiv auf das seelische und körperliche Wohlbefinden auswirkt. Mein wichtigster Tipp: genießen Sie Ihr Leben, setzen Sie Schwerpunkte für Menschen und Aktivitäten, die Ihnen wirklich wichtig sind. Jede Krise bedeutet auch eine Chance, durch persönliches, phantasievolles Experimentieren eine Entwicklung zu ermöglichen.