Angstreduktionstherapie im Spionagemuseum Berlin

[KULTUR LEBEN! Kolumne von Adak Pirmorady]

Es herrscht Krieg in Europa. Nach zwei Jahren der Pandemie berichten die Medien nicht mehr von den Hochrechnungen der Infektionszahlen, sondern von Krieg, von Toten, von Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, von Migration und Ankunft in einem fremden Land. Die deutsche Bevölkerung unsäglich offen mit großherziger „Willkommenskultur“. Beeindruckend, wie sehr wünsche ich mir dennoch die Hochrechnungen zurück, was war Corona gemessen an dem Krieg?

In diesen unsicheren Tagen werde ich häufiger in meiner Funktion als Psychoanalytikerin gefragt, wie man mit seinen Ängsten „besser“ umgehen kann. In einem Interview gebe ich mein theoretisches Wissen preis. Intellektualisiere, rationalisiere – beides sind wichtige Abwehrmechanismen, die auch meine eigene Angst vor Eskalation der Situation und der weltpolitischen Lage, meine Wut und meinen Ärger in Zaum halten. An einem Samstag nun, an dem ich selbst mich anders fühle, weil der Krieg nicht in Syrien, Mali oder am Golf tobt, sondern um die Ecke in Europa, an diesem Samstag, an dem ich beeindruckt bin von der Hilfsbereitschaft meiner Heimat, an diesem Samstag besuche ich das Spionagemuseum Berlin.

Bereits am Eingang eine eindrucksvolle Schleuse, das Bild des Agenten zeigt man solle seine Arme hochheben und die Füße auf dem Boden platzieren, auf der Stelle, an der die grünen Fußabdrücke abgebildet sind. Man steht also in einer Glasröhre und wird gescannt. Die Kinder finden es großartig. Im unteren Raum viel Informationsmaterial über chiffrierte Schrift, über die Idealisierung von Agenten, Spiegelschrift zum Ausprobieren, interessante Aufführung eines wenig „spaßigen Themas“. Eine Etage höher erreicht man einen interaktiven Raum, in dem man viel ausprobieren kann, wenn man es schafft an die Reihe zu kommen. Meine Tochter hat sich fest vorgenommen, den Lügendetektor auszuprobieren, die Schlange ist jedoch ewig lang. Es scheint, als seien alle Museumsbesucher an diesem Samstag auf der Suche nach ihrer eigenen Wahrheit…

Schließlich geben wir auf, schlendern weiter durch die beeindruckende Szenerie mit Trabanten und mit Kameras gespickten Damenhandtaschen. Ein schnelles Foto vor dem Tatort-Einspieler. Der Sohn springt durch die Laserhalle und versucht es immer wieder, getrieben von seinem eigenen Leistungsanspruch, der perfekte Agent zu sein zu wollen.

Zum Abschluss klettern die Kinder durch einen Belüftungsschacht, in dem eine Stimme spricht: „Wer ist da? Mistvieh!“. Die Kinder erschrecken sich, finden es aber so aufregend, dass sie diesen Vorgang an die 100 Mal wiederholen, sie machen sich die Situation zu eigen, ritualisieren sie, haben dadurch weniger Angst, denke ich und habe während dessen Zeit, ein fiktives Bewerbungsgespräch für den australischen Geheimdienst (Australian Secret Intelligence Service, ASIS) zu machen und mir ein etwas irritierendes Video des Verfassungsschutzes anzusehen. Die Sprechenden sind ihrer Stimmer beraubt, Schauspieler scheinen die Texte synchronisiert zu haben, außerdem haben sie lustige Bärte, Brillen und Mützen aufgesetzt, damit man sie nicht erkennt. Der eine V-Mann sagt: „Man kommt in Gegenden, wo viele anders aussehende Menschen sind und man selbst auffällt, so wird man vom Beobachter zum Beobachteten…“. Ich kann mir nicht helfen, mit der Aufmachung braucht man nicht einmal in eine Gegend zu gehen, wo Menschen aus anderen Kulturkreisen unterwegs sind. Mit dieser Aufmachung und der Stimme, die nicht dazugehört, würde jeder Psychoanalytiker zunächst einen Identitätskonflikt vermuten.

Als wir das Museum durch eine „Flughafeneingangsschleusentür“ verlassen, landen wir unmittelbar und ohne jegliche Ausweichmöglichkeit im Museumsshop, wo es Gott sei Dank auch Eis gibt.

Dieses Museum hat an diesem Samstag eine heilsame Funktion. Zu sehen, wie viel wir nicht wissen und wie Jahre oder Jahrzehnte später Informationen in einem Museum freigegeben werden, um dem Zivilisten zu suggerieren, „hier seht ihr die ‚Methoden des Geheimdienstes‘“, ist interessant.

Ich erinnere mich an Sigmund Freuds Theorie zum Familienroman. Wir machen uns unsere Familiengeschichte ein Stück selbst, kreieren eine Geschichte von unserer Familie und erzählen sie. Dieses Museum macht das auch. Und es hilft mir sehr, denn ich lerne, es gibt so unendlich viel, was ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht weiß. Vielleicht werden in 10 oder 20 Jahren die Informationen darüber, welche Bedeutung dieser Krieg hat beziehungsweise wer daran verdient hat, in einem Museum ausgestellt. Vielleicht werden meine Kinder dann Dinge verstehen, die ich heute nicht verstehen kann.

Als wir das Museum mit dem Eis am Stiel verlassen, bin ich dankbar für die kühle Luft und das Licht, es scheint die Sonne an diesem kalten Märztag. Das Licht hat etwas tröstlich Aufrichtiges. Ich fühle mich innerlich ruhig und angstfrei. Das Licht ist wahrscheinlich der Anfang von allem, denke ich.